Die folgende Ausstellung entstand aus der Zusammenarbeit von Studierenden der Katholischen Theologie an der Universität Duisburg-Essen, Studierenden des Lehramts Musik an der Folkwang Universität der Künste sowie Schüler*innen der Essener Gesamtschule Holsterhausen.
26 Schüler*innen der Klasse 8e der Gesamtschule Holsterhausen haben künstlerisch-kreativ zu der Frage geforscht, was eine barocke Marienvesper zu Fragen der Gegenwart beitragen kann. Im Alfried Krupp Schülerlabor der Künste der Folkwang Universität der Künste haben sie die hier ausgestellten Exponate entworfen, geschrieben, vertont und produziert.
Die künstlerischen Übersetzungen der Schüler*innen eröffnen Perspektiven, die sonst nicht möglichen gewesen wären und die zur Vertiefung sowie zur Selbstkritik einladen.
Sie, liebe Zuhörer*innen, werden Monteverdis Marienvesper nach einem Besuch dieser digitalen Ausstellung vielleicht mit anderen Ohren hören und aus veränderten Blickrichtungen sehen können.
Anmerkung:
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In fünf Stationen präsentieren die Schüler*innen ihre Exponate:
In der Gruppe Hoffnung auf Erlösung / Die Mächtigen vom Thron stürzen befassten wir uns gemeinsam mit dem Magnificat, welches Monteverdi in seiner Marienvesper vertonte.
Die starken, ja fast schon revolutionären Botschaften inspirierten uns dazu, ein eigenes musikalisches Produkt zu gestalten, welches wie die Marienvesper ebenso hoffnungsvolle Verheißungen enthält. Wo es in der Marienvesper damals um ein Aufbrechen der Machtstrukturen – sowohl gesellschaftlich als auch geschlechtlich – ging, fokussierten wir uns auf ein aktuelles Problem, welches ebenfalls zu ungleichen Machverhältnissen und Missständen führt, die es aufzubrechen gilt: Rassismus.
Deposuit potentes de sede – Er stürzt die Mächtigen vom Thron
Magnificat (Lk 1,52)
Sie hören: Black Dust
Black Dust
[Verse 1 – soft and slow] They say we’re different – but I see your eyes, The same quiet sorrow when a young soul dies. Same silent prayers in a crowded room, Same fear of falling, same unknown doom. We learn too young what hatred means, How color and names can break our dreams. And still we walk, though the shadows grow, Looking for a place where kindness shows. [Chorus – gentle, emotional rise] We stand in black dust, but we still see the light, You and I – we’re not here to fight. No border, no race should tear us apart, We were born of the same wild, heart. [Verse 2 – slightly louder, drums come in] A boy cries out for his mother in smoke, A girl counts corpses like time that broke. Somewhere power’s traded over glass and flame, While outside the streets forget our names. They speak of flags, but not of faces, Of lines and maps, not empty places. History screams from every grave, That war just kills what love once gave. [Chorus – a bit stronger, but still intimate] We stand in black dust, but we still see the light, You and I – we’re not here to fight. No border, no race should tear us apart, We were born of the same wild, heart. [Bridge – almost whispered, minimal music] Don’t look at my skin – see my soul instead. We all lie down in the same kind of bed. No blood is darker, no name is wrong – We all deserve a peaceful song. [Final Chorus – soft, but full of feeling] We stand in black dust, but we still see the light, You and I – we’ll hold on tight. No hatred, no war will steal who we are, We're stardust born beneath the same star. [Outro – fading quietly] Maybe peace begins not in law or land, But when we reach with an open hand... In a world that’s tired, torn and rough – Maybe love... is loud enough.
Die Idee: „In The End“ von der Band Linkin Park mit einem neuen, eigenen Text versehen und die Musik selbst einspielen. Damit die Marienvesper in einen Kontext von modernen Protestsongs bringen und darauf aufmerksam machen, dass dieses Stück nicht nur ein eingestaubtes Stück Musik- und Religionsgeschichte ist, sondern seine Botschaft immer noch relevant, aktuell und inspirierend sein kann.
Die Texte der Marienvesper zeichnen eine Welt, die noch nicht ist; sie erzählen von einer Zukunft, in der Arm und Reich, Mächtig und Unmächtig vertauscht werden. Die Musik vertont diese Kontraste und fügt eigene hinzu: Ein Hilferuf erklingt als Fanfare, die sanfte Stimme singt vom Blick des großen Gottes auf die Niedrigkeiten dieser Welt, die himmlische Herrlichkeit trifft auf eine Solostimme. So eröffnet die Marienvesper einen Raum zwischen „schon“ und „noch nicht“. In diesem Zwischenraum zwischen Ordnung und Chaos, in diesen Kontrasten, findet das Leben statt – davon erzählt das Video.
Deus in adiutorium meum intende. – Gott, komm mir zu Hilfe!
Invitatorium (Ps 70,1)
Wenn Jerusalem als bessere Welt und als Gottesstadt vorgestellt wird, dann ist das eine Kritik an der realen Welt, in der Frieden, Gerechtigkeit und Einheit nicht gegeben sind. Der Text entfaltet somit einen Gegenentwurf zur bestehenden Wirklichkeit und damit eine Hoffnungsperspektive. In Monteverdis Vespro della Beata Vergine (1610) wird Laetatus Sum (Ps 122) mehrstimmig, festlich und mit instrumentaler Begleitung vertont. Diese musikalische Gestaltung verstärkt die Hoffnungsperspektive des Textes und die Freude über die Pilgerfahrt wird zu einem sinnbildlichen Aufbruch in eine verheißungsvolle Zukunft. Die Spannung zwischen Freude, Glaube, Erwartung und Realitätsferne wird musikalisch erfahrbar.
Die folgenden Protestplakate haben diese Spannung bildlich und musikalisch in die Gegenwart übersetzt.
Wir schweigen nicht, weil wir wichtig sind und Rechte haben. Gerechtigkeit für Maria.
Hast du schonmal darüber nachgedacht, dass Jesus auch arm war? Maria hatte keinen Job und kein Geld. Den Geringen richtet er auf aus dem Staub, aus dem Schmutz erhebt er den Armen.
Laudate pueri Dominum (Psalm 113,7)
Fiat pax in virtute tua, et abundantia in turribus tuis. – Friede sei in deinen Mauern, Überfluss in deinen Türmen!
Laetatus sum (Ps 122,7)
Was macht einen Abgrund eigentlich zu einem solchen? Was macht Schönheit aus? Kann das eine ohne das andere bestehen?
Monteverdi ging diesen Fragen in seiner Marienvesper auf seine Art auf den Grund, wir taten es auf unsere. Wir betrachteten Abgründe unseres alltäglichen Lebens, philosophierten über Schönheit, entnahmen Monteverdis Briefen, mit welchen Abgründe er zu kämpfen hatte, als er die Vesper schrieb und blickten auf die Imagination, die er (sich?) mit der Vesper schuf. Wir stellten fest, wie sich die Schönheit eines Augenblickes oft erst durch die Überwindung vorangegangener Abgründe definiert und wie die Welt ohne Schönheit und Abgründe gleichermaßen verstummt. Aus diesen Gedanken heraus entstand ein Artwork, aus diesem Artwork eine Partitur, die dann zu Klang wurde, der wiederum in das Artwork floß.
Et in secula seculorum.
Stell dir vor, Monteverdis Musik ist wie eine Lavalampe. Die Klänge blubbern hoch, sinken wieder ab, verändern sich ständig – mal groß, mal klein. Alles bewegt sich: von links nach rechts, von oben nach unten. Manche Stellen klingen fast wie „von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Andere reagieren direkt aufeinander, als würden die Stimmen miteinander sprechen oder sich kommentieren. Die Musik baut Räume aus Klang. Sie entwickelt sich, verändert Farben, und ist mehr als nur die Summe ihrer Töne. Sie ist ein Raum, der lebt.
Wir verstehen „den menschlichen Geist als schöpferische Tätigkeit, die verwandelt, was sie berührt.“ Wir verbinden „zwanglos Verschiedenes zu Ähnlichem. Unbekümmert um Gattungen oder Hierarchien“. Wir verleihen […] Einzigartigkeiten „Gestalt, ohne etwas benennen oder repräsentieren zu wollen.“ Wir verstricken uns gegenseitig, Arabesken gleichend, „ganz und gar in die Wirklichkeiten einer Welt.“ Schönheit Abgründe Hoffnung Erlösung Macht Protest Werte Bilder Räume Form Klang Geschichten
Rustemeyer, Dirk
Die Exponate der Schüler*innen sind Übersetzungen einer Sprache, die nicht unsere eigene ist: Die Sprache der Bibel aus Altem und Neuem Testament und die Sprache der christlichen Tradition.
Schon Monteverdi hat diese Sprache aufgenommen und in seine Zeit übersetzt. Aber selbst diese Übersetzung ist noch immer über 400 Jahre von uns entfernt.
Die Schüler*innen der Klasse 8e haben es unternommen, diese alten Sprachen aus Antike und Barock in ihre Sprache und in unsere Zeit zu übersetzen. Sie zeigen uns damit, was über Zeiten hinweg Menschensein bedeutet: Widerstand, Blick in Abgründe, Sehnsucht nach Frieden und Schönheit und das Leben in dem stetigen Kontrast zwischen der Erwartung und der Wirklichkeit.
Diese Sprache ist keine religiöse Sprache mehr. Sie zeigt aber, dass die Alten Texte auch heute zum Sprechen gebracht werden können.
Literaturnachweis: Rustemeyer, Dirk (2022): Poetik der Reflexion: Heidegger im Lichte der frühromantischen Philosophie. Baden-Baden: Nomos, S. 12-13.
SchülerInnen der Klasse 8e, Gesamtschule Holsterhausen Studierende des Lehramts Musik, Prof. Dr. Adrian Niegot, Folkwang Universität der Künste Studierende der Katholischen Theologie, Dr. Benedict Schöning, Universität Duisburg-Essen
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